Wir kennen Astrid Lindgren als Erfinderin von großartigen Figuren wie Pippi Langstrumpf, den Kindern von Bullerbü, Brüder Löwenherz oder Michel aus Lönneberga. Ihre starken und selbstständigen, kreativen und gefühlvollen Figuren sind seit langem Identifikationsfiguren und haben über Generationen Kinder geprägt. Unter dem Titel „Die Menschheit hat den Verstand verloren – Tagebücher 1939-1945“wurden die Tagebücher der Schriftstellerin veröffentlicht, die tiefe Einblicke in ihre Seele, ihre Sichtweise dieser schrecklichen Zeit des zweiten Weltkriegs und ihre Ideen geben. Hierin schrieb sie ihre Gedanken über die dunkelste Zeit der Menschheitsgeschichte nieder. Durch ihre Arbeit in der Abteilung der Briefzensur des schwedischen Nachrichtendienstes hatte sie Einblicke in persönliche Briefe. In ihren Tagebüchern zeigt sie auf wie Europa von Faschimus, Gewalt und Rassismus zunehmend eingenommen und vergiftet wird. Immer wieder stellt sie kluge und wichtige Fragen: Was ist gut? Was ist böse? Wie kann man Stellung beziehen, wenn die Gedanken und Taten der Menschen von Rassismus und Faschismus geprägt und bestimmt sind?
Aus diesen Tagebüchern hat die Schauspielerin und Sängerin Eva Mattes, die viele sicher aus dem „Bodensee-Tatort“ kennen, im Konstanzer Stadttheater gelesen. Habt ihr gewusst, dass Eva Mattes als 14-jährige das deutsche Titellied der Serie „Pippi Langstrumpf“ gesungen hat? Dieses wurde dann natürlich auch eingespielt.
Untermalt wurde die Lesung von zwei tollen Musikern, Irmgard Schleier am Klavier und Dariusz Swinoga am Akkordeon. Eva Mattes´s Singstimme klingt ganz anders als ihre Lesestimme.
Ehrlich gesagt, gefiel mir die Rolle, die Eva Mattes im Tatort gespielt hat, nicht wirklich, obwohl sie sie sehr überzeugend gespielt hat. Aber die Figur war mir zu schwerfällig, langsam und trutschig. Auf der Theaterbühne ist sie aber der Knaller! Ich habe sie schon einmal bei einem Gastspiel erlebt und da war sie auch großartig. Sie hat eine wunderbare Bühnenpräsenz, kann ohne großes Bühnenbild bestehen, die Bühne einnehmen und zu einer Bühne für sich und ihre Themen zu machen. Die drei hatten zeitgenössische Lieder aus ganz Europa ausgewählt, um die Texte der Schriftstellerin zu untermalen. Ausgewählt waren Kinder- und Wiegenlieder, jüdische Widerstandslieder und Chansons aus dem Exil. Vielleicht hat Astrid Lindgren ja das eine oder andere auch gehört?
Natürlich kommen in ihren Tagebüchern auch die Anfänge von Pippi vor, die Geschichte, die Astrid Lindgren für ihre Tochter geschrieben hat. Und die Geschichte, in der sie ihre Haltung zu Nazi-Deutschland preisgibt, in dem Pippi den starken Adolf auf dem Rummelplatz besiegt.
Eva Mattes schuf mit diesem Abend einen stimmungsvollen, nachdenklichen, manchmal heiteren Abend. Ein künstlerisches Plädoyer für ein friedliches Miteinander in einem weltoffenen Europa, wie es in der Ankündigung hieß. Dies ist ihr gelungen. Und solche Abende sind besonders zurzeit wichtig als Zeichen, dass es eben sehr viele Leute gibt, die für ein Europa sind und aufmerksam beobachten, was zurzeit vor sich geht. Hoffentlich mindestens so aufmerksam wie Astrid Lindgren damals, damit sich die dunkelste, abstoßendste Geschichte der Menschheit nie wieder wiederholt.