Ich bin ja bekennender Krimifan und ich mag auch gerne die skandinavischen Krimis, auch wenn sie teilweise sehr blutrünstig und brutal sind. Fast immer düster, bedeutungsschwer und irgendwie meist bedrückend. Warum das so ist, kann man diskutieren, aber nicht jetzt und hier. Da ich viele Bücher von Håkan Nesser gelesen hatte, musste ich die Chance natürlich wahrnehmen, als er im Rahmen des Münchner Krimifestivals sein neues Buch Himmel über Londonvorstellte.
Im Auditorium der BMW Welt fanden sich sehr viele Leute ein (ich schätze es waren um die 800, bin da aber echt schlecht drin). Durch den Abend führte Margarete von Schwarzkopf, die Nesser die Fragen stellte und seine Antworten auf deutsch zusammenfasste. Denn Nesser begüßte die Zuhörer zwar auf deutsch, führte dann jedoch das Gespräch auf englisch. Einige Absätze aus seinem Buch las er auf schwedisch vor und der Schauspieler Walter Kreye (bekannt z. B. aus Der Alte) präsentierte Ausschnitte der Geschichte auf deutsch.
Als erstes wollte Nesser klargestellt haben, dass es sich bei Himmel über LondonNICHT (ich wiederhole NICHT) um einen Krimi handelt! Also, merken. Es ist aber eine Mischung aus Spionage- und Liebesgeschichte mit Krimielementen und noch etwas mehr. Wer einen Krimi erwarte, der würde enttäuscht werden. Denn das Buch sei bis ca. Seite 250 eine völlig normale Geschichte, dann tritt eine weitere Hauptperson auf und das Buch ändere sich. Ich geb das jetzt mal wieder ohne es bisher nachgeprüft zu haben. Der Protagonist Leonard sei kein guter Mensch, das war er mal, aber dann ist was passiert. Er möchte seinen 70. Geburtstag, aufgrund einer Krankheit sein letzter, in London feiern, wo er in den 60ern einige Jahre gelebt hatte. Er hat einen ganz speziellen Plan für den Geburtstag, aber den kennt nur er.
Zwar ist Leonard die Hauptfigur, aber als zweite Hauptfigur tritt an seine Seite die Stadt London selbst. Diese hat Nesser so genau beschrieben, dass er grinsend meinte, man könne das Buch zu 96% als Reiseführer benutzen. Wichtige Personen sind Maud, Leonards Lebensgefährtin, und zwei weitere Gäste, Milos und Hr. Selén. Ausgangspunkt für das Buch war Nessers Idee, dass jemand um 16.50h in Paddington Station (eine Hommage an die große Agatha Christie) ankommen würde und später kam die Idee hinzu, dass er über die Ereignisse der 60er und 70er Jahre schreiben wollte. Verschiedene Bücher und Filme sind in den unterschiedlichen Zeit- und Bedeutungsebenen des Buches versteckt, ließ er wissen. Das Buch Himmel über London ist das zweite einer Trilogie. Begonnen hatte diese mit Die Perspektive des Gärtners, das in New York spielt. Das dritte Buch soll in Berlin spielen, aber Nesser ist noch an der Recherche.
In humorvoller Weise, immer mit einem Augenzwinkern, erzählte Nesser wie eine Geschichte entsteht. Bei einem Roman sei das Ende nicht zwingend für den Autor am Anfang schon abzusehen, während es bei nem Krimi natürlich hilfreich ist, wenn der Autor von Anfang an wisse, wer der Mörder sei. Aber in einem Roman können sich auch Aspekte während des Schreibens entwickeln. Als Walter Kreye gestand, dass er die Figur der Carla (eine wichtige Frau in Leonards Leben) niemals im Film sehen wolle, weil er sich ein eigenes Bild gemacht hätte, entspann sich eine kurze Diskussion darüber wie schwierig es ist, Bücher zu verfilmen, weil jeder sich beim Lesen einer Geschichte bereits ein Bild der Figuren gemacht habe.
Nesser präsentierte sich als freundlich, sympathisch und sehr lustig, allerdings wusste man nicht immer wie ernst man seine Aussagen nehmen sollte. Als er verschiedene Episoden aus seinem Leben und seiner Familie erzählte, hatte er die Lacher auf seiner Seite. Walter Kreye gelang es in großartiger Weise den verschiedenen vorgestellten Figuren Leben einzuhauchen. Ein running gag wurde es, dass Nesser ihm jedes Mal das Miko reichen musste, wenn Kreye eine Frage beantworten sollte. Margarete von Schwarzkopf schaffte es prima dieses deutsch-englisch-schwedische Gespräch zu lenken.
Und ein wichtiger Rat von Håkan Nesser: Never trust a writer! Auch dies gab er mit einem Augenzwinkern preis. Warum? Ganz einfach, ein Schriftsteller verändert die Realität in seinen Büchern so, dass es in seine Geschichten passt!